Die Innenstadt von Neudenau weist einen umfangreichen historischen Häuserbestand auf, der aufgrund seiner Varietät sehr viel über die Baugeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts verrät. Unterschiedliche politische, territoriale und persönliche Beziehungen haben auf die Architektur eingewirkt, sodass nahezu zeitgleich entstandene, nebeneinander stehende Gebäude mitunter auf völlig unterschiedliche Art und Weise konstruiert sind. Mit seiner überschaubaren Größe präsentiert sich die Stadt heute als ein buntes „Fachwerkmuseum“, dessen „Exponate“ sich alle am ursprünglichen Standort befinden.
Das Wachstum Neudenaus drückt sich nicht nur in einer „boom-artigen“ Vergrößerung und Veränderung der Siedlungsfläche zwischen 1400 und 1450 aus, sondern auch im Wandel der Baukonstruktionen an sich sowie im Wandel der Straßenzüge und der Bauformen. Bereits 1461 -d-¹ entsteht das Gebäude Hauptstraße 43 als dreistöckiger Fachwerkbau, 1467 -d- und 1474 -d- folgen die ebenfalls dreistöckigen Fachwerkgebäude Hauptstraße 21 und 23, welche bis heute die Westseite des Marktes bilden. Die binnen zehn Jahren errichteten drei Bauten stammen aus einer Generation und sind dennoch völlig unterschiedlich konstruiert. Einzig die „Dreigeschossigkeit“ haben sie gemeinsam, wenngleich auch bei zwei der drei Beispiele heute das jeweilige Erdgeschoss im 19. Jahrhundert massiv ersetzt worden ist.
Das älteste der drei Objekte, Hauptstraße 43, wurde 1461 -d- in (fast!) klassischer Stockwerksbauweise errichtet. „Fast“, weil dem Objekt ein wesentliches Attribut dieser Bautechnik des 15. Jahrhunderts fehlt: Die vollflächige Überdielung der jeweiligen Stockwerksdecken vor dem Aufrichten des nächstfolgenden Geschosses. Bei vollflächigen Dielungen sind die rund 3cm dicken Dielenbretter über den Deckenbalken auch an den Außenfassaden durchgängig zu sehen. Das nach folgend aufgerichtete Geschoss ruht vollständig auf diesen Dielen. Die Dielung schließt bei auskragenden Stockwerken auch den zwangsläufig im Schwellenbereich des Obergeschosses entstehenden Spalt zwischen der Außenwand des Obergeschosses und der zurückstehenden Wandkante des unteren Geschosses. Die in der Regel mit dichten Falzen zu einer festen Platte zusammengefügten Dielen der Etagendecken besaßen als „statische Scheibe“ eine wichtige Funktion, um den Fachwerkverband einer Etage gegen Torsionsbewegungen zu sichern.
Unser Neudenauer Beispiel besaß nie eine solche Dielung, wie die eingehende Bauuntersuchung im Jahre 1999 ergab. Die Deckengefache enden mit der Außenkante des jeweils unteren Geschosses, was dem Gebäude sicherlich nicht unbedingt den besten Wohnkomfort bot, weil am Übergang von Stockwerk zu Stockwerk nun eine relativ dünne Schwachstelle gegen eindringende Kälte entstand.
Die Außenwände des Objektes sind mit kräftigen Eichenholz-Querschnitten konstruiert, allerdings nur in der Ansicht der Wände. Die Wandstärken betragen lediglich 15 cm, während die Ansichten bis zu 28/30 cm breite Holzteile zeigen. Diese Konstruktionsweise ist mit der Zeitstellung des Objektes für die Region eher ein ungewöhnliches Phänomen. Der Konstrukteur dieses Fachwerkbaus dürfte vermutlich ein „nicht-Hiesiger“ gewesen sein. Das ursprüngliche Haus umfasste übrigens auch die heutige Adresse Hauptstraße 45, welches erst nach 1900/1950 als eigenständiges Eigentum vollständig erneuert worden ist.
¹ -d-: dendrochronologisch belegt
Kontakt
Stadtverwaltung Neudenau
Hauptstraße 27
74861 Neudenau
Tel.: 06264 92780-0
Fax: 06264 92780-49